Der Tag, als die "Piper Alpha" in der Nordsee explodierte (2024)

Der Tag, als die "Piper Alpha" in der Nordsee explodierte (1)

von Jessica Kröll

6 Min.

Heute vor 34Jahren sorgten mehrere Explosionen auf der Ölplattform "Piper Alpha"für deren Untergang. 167 Männer kamen bei dem schrecklichen Unglück auf der Nordsee ums Leben.

Es ist ein schöner Tag, als die "Piper Alpha" an jenem Mittwoch, den 6. Juli 1988, rund 180 Kilometer vor der Küste von Aberdeen in Schottland liegt. "Windstill und ruhig", so beschreibt es einer der Arbeiter später. An jenem Tag sind 226Männer auf einer der ertragsreichsten Ölplattformen in der Nordsee im Einsatz.

Die riesige Bohrinsel ist darauf ausgelegt, Wind bis zu 185 Stundenkilometern und Wellen bis zu 29 Metern Höhe standzuhalten. Seit 1976 befördert sie drei sehr leicht entzündliche Produkte: Natürliches Gas, verflüssigtes Petroliumgas und Rohöl. Das Produktionsdeck besteht aus vier Abschnitten. In Abschnitt A wird das Öl aus dem Meeresboden gepumpt. Die Abschnitte B und C fördern Öl und Gas. Abschnitt D erzeugt Strom. Über all dem steht eine eigenständige Stadt mit Unterkünften und Unterhaltung für die Arbeiter. Von den 230 Metern liegt mehr als die Hälfte unter Wasser.

Pumpenausfall auf der "Piper Alpha"

Gegen 21.45 Uhr geht ein Alarm los. Eine Kondensatpumpe hatte sich ausgeschaltet. Kondensat ist der Ausdruck für verflüssigtes Petroliumgas, kurz LPG genannt. Die Pumpe komprimiert die flüchtige und leicht brennbare Flüssigkeit auf 78 Atmosphären, was dem 25-fachen Druck in einem Autoreifen entspricht. Nichts Ungewöhnliches. Doch sie lässt sich nicht wieder anstellen.Da die gesamte Stromversorgung der Offshore-Bauarbeiten von dieser Pumpe abhängt, sind nur wenige Minuten Zeit, um die Pumpe wieder in Betrieb zu nehmen, da sonst die Stromversorgung vollständig ausfallen würde.Eine Ersatzpumpe ist wegen Wartungsarbeiten ausgeschaltet. Da diese jedoch noch nicht begonnen haben, gibt der leitende Produktionsarbeiter den Einsatz dieser Pumpe frei. Ein folgenschwerer Fehler, wie sich später herausstellen wird.

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Um 21.55 Uhr gibt es einen weiteren Alarm aufgrund eines Gaslecks auf dem Deck oberhalb der Pumpe. Kurz darauf folgen weitere Alarme aufgrund von kleinen Gaslecks. Dann folgt ein großer Gasalarm. Um 22 Uhr kommt es schließlich zur Explosion. Kurz darauf erschüttert eine weitere Explosion die Plattform. 226 Arbeiter sitzen auf der brennenden Bohrinsel fest.

Die Explosion reißt Maschinist Geoff Bollands im Kontrollraum von seinem Schreibtisch und schleudert ihn sechs Meter weit. "Das Licht ging aus, die Turbinen fuhren runter und überall war Rauch", erinnert er sich in einer Doku über das Unglück. Er drückt den Notabschalthebel der Bohrinsel und stolpert aus dem zertrümmerten Kontrollraum. Automatisch werden alle Hauptöl- und Gasleitungen geschlossen. Die gigantischen Stromgeneratoren schalten ab. Weil die Hauptalarmanlage zerstört wurde, ertönt keine Sirene.

Arbeiter springen in Panik ins Meer

Bollands und 20 seiner Kollegen sind auf der lodernden Plattform von Flammen umgeben. Sie klettern rund 23 Meter über ein Seil hinunter bis zu einem Deck rund sechs Meter über der Wasseroberfläche. Dann springen sie ins Meer. Umliegende Schiffe haben die Katastrophe mitbekommen und schicken sofort Rettungsboote los, um den Überlebenden zu helfen. Innerhalb weniger Minuten werden Bollands und seine Männer aus dem Meer gezogen.

Gegen 22.10 Uhr kommt es zu einer weiteren gigantischen Explosion. Der Evakuierungsplan sieht vor in der Kantine zu warten, bis Hilfe kommt. Doch als die Arbeiter dort warten, dringt Rauch hinein. Einer der Arbeiter, Jim McDonald, will nicht warten und macht sich auf die Suche nach einem Fluchtweg durch die Wäscherei. Es dauert einige Zeit, da der dichte Rauch die Suche erschwert. Schließlich schafft er es in den Raum mit den Waschmaschinen, läuft hindurch und öffnet die Tür hinaus auf das rettende Deck. Er bahnt sich seinen Weg durch die Flammen bis zu einer Plattform, von der aus er 21 Meter tief in die Nordsee springt. Er klammert sich an einen Pfeiler der Bohrinsel, bis er wenig später von einem Rettungsboot aufgenommen wird.

Um 22.50 Uhr erfolgt eine weitere Explosion. Trümmer werden 800 Meter weit durch die Luft geschleudert. Die Detonation ist so gewaltig, dass andere Schiffe sie auch in anderthalb Kilometer Entfernung noch spüren können. Eine halbe Stunde später kommt es erneut zu einer Explosion. Dabei stürzt einer der Kräne ein. Dann der Bohrturm. Die Plattform neigt sich daraufhin zur Seite. Das Hauptwohnquartier mit der Kantine, in der die Arbeiter auf ihre Rettung warten, kippt zur anderen Seite und rutscht unter die Wellen. Es ist ihr Todesurteil. Kurz darauf wird auch der Rest von "Piper Alpha" von der Nordsee verschluckt. Um 0.45 Uhr ist die 20.000 Tonnen schwere Bohrinsel verschwunden. Nur ein kleiner Teil von Abschnitt A bleibt über. 167 Männer kommen ums Leben, darunter zwei Rettungskräfte.

So kam es zur Katastrophe auf der "Piper Alpha"

Ein Expertenteam untersucht mehr als drei Jahre lang den Vorfall. Die Wrackteile liegen 145 Meter unter der Wasseroberfläche verteilt, die Ermittlungen stützen sich deshalb nur auf Zeugenaussagen und Fotoaufnahmen, die von umliegenden Schiffen gemacht wurden. Wie sich herausstellt, hätte die Ersatzpumpe nach dem Pumpenausfall nicht zum Einsatz kommen dürfen, da bei ihr das zugehörige Überdruckventil fehlte und die Öffnung nur notdürftig mit einer Metallscheibe abgedeckt war. Als dann der Vorarbeiter mehr Gas in die Leitung pumpte, konnte dieses Kondensat entweichen, was die vielen kleinen Gasalarme, einen großen Gasalarm und schließlich die erste Explosion zur Folge hatte.

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Doch wie konnte das Feuer so groß werden und weitereExplosionen nach sich ziehen? Normalerweise sollte eine Brandschutzwand in Abschnitt C dafür sorgen, den Flammen sechs Stunden lang standzuhalten. Allerdings sorgte die Explosion dafür, dass die einzelnen Platten dieser Wand brachen und die umherfliegenden Trümmer eine weitere Kondensatpumpe beschädigten.

Weitere Ermittlungen ergaben zudem, dass Taucher, die an jenem Tag an der Plattform arbeiteten, Gummimatten auf der Abstiegsplattform zum Meer abgelegt hatten, damit sie sich nicht an den scharfkantigen Metallgitterböden verletzten. Herabfließendes brennendes Öl, das normalerweise durch Metallgitterböden hindurch ohne weitere Folgen ins Meer abgeflossen wäre, sammelte sich jetzt auf diesen Matten, die sich direkt unter einer Hochdruckverbindungsleitung befanden. Die aufsteigende Hitze ließ die Leitung brechen, wodurch plötzlich 15 bis 30.000 Tonnen Gas unter Hochdruck hinausgeschleudert wurden – eine halbe Tonne Gas pro Sekunde. Der gigantische Feuerball mit einem Durchmesser von 150 Metern hüllte die ganze Plattform ein.

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Zu diesem Zeitpunkt der Katastrophe waren noch zwei Leitungen in Betrieb. Eine von ihnen enthielt 1120 Tonnen komprimiertes Gas, also dreimal soviel, wie gerade aus der anderen Leitung geschossen war. Auch diese und die letzte Leitung explodierten kurz darauf und besiegelten so den Untergang der "Piper Alpha".

Fehlendes Sicherheitsventil führte zur Katastrophe

Als drei Monate später zwei Wohnunterkünfte der Bohrinsel geborgen werden, werden 81 Leichen gefunden. Überraschenderweise ist ein großer Teil der gefundenen Dokumente noch lesbar, wie etwa Genehmigungen für Wartungsarbeiten. Weil die Pumpe und das damit verbundene Sicherheitsventil sich an zwei verschiedenen Teilen der Plattform befanden, wurden auch die Genehmigung für die Wartung der Pumpe und das Formblatt für das Sicherheitsventil nicht zusammen aufbewahrt. Papiere wurden nach Orten sortiert. Dadurch konnte der Produktionsleiter beim Überprüfen der Arbeitsgenehmigung für die Pumpe nicht sehen, dass das Sicherheitsventil entfernt wurde und die Öffnung nur provisorisch verschlossen wurde. Das fehlende Ventil wurde also von niemandem bemerkt, zumal sich die Metallscheibe, die das Sicherheitsventil ersetzte, mehrere Meter über dem Boden befand und von Maschinen verdeckt wurde.

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Ein Ermittler von damals erinnert sich: "Als Pumpe B gestoppt wurde und jemand fragte, ob er die andere Pumpe starten dürfe, sagte ihm ein Vorarbeiter von der Wartung: 'Na klar'." Weil die Arbeiter nicht wussten, dass das Sicherheitsventil fehlte, starteten sie die Pumpe und setzten damit den verhängnisvollen Kreislauf des Unglücks in Gang.

Nachdem Unglück wurde zunächst die Mineralölgesellschaft Occidental, der die Plattform damals gehörte, für die Katastrophe verantwortlich gemacht. Später benannte ein Richter jedoch im September 1997 als Ursache zwei Arbeiter, die eine vorher nicht getestete Pipeline geöffnet und ein wichtiges Teilstück nicht ordnungsgemäß montiert hatten.

Die Überreste der "Piper Alpha" wurden im März 1989 gesprengt. Viele der Leichen der 167 Todesopfer wurden nie gefunden. Nur 61 Arbeiter überlebten das Unglück.

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01:07 min

Sehen Sie im Video:Arbeiter auf einer Ölplattform vor der Küste Thailands machen eine gruselige Entdeckung. Ein chinesisches Geisterschiff tauchtin der Dunkelheit auf – an Bord befinden sich weder Mannschaft noch Papiere.

Quellen:National Geographic, DPA, Offizieller Untersuchungsbericht

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